Rückblick
Fotos: Peter Lokk
"An der Schwelle einer Revolution"
Nachbericht zum Fachkongress von EIQ und HTWK: Die neue Öffentlichkeit - Wie Bots, Bürger und Big Data den Journalismus verändern
Die Medienwelt steht an der Schwelle einer Revolution. Und der heraufziehende gigantische Sturm äußert sich bereits jetzt im Gegenwind, der Journalisten und Massenmedien seit einiger Zeit entgegenweht. Mit diesem drastischen Szenario stimmte Richard Gutjahr, Journalist und Blogger vom Bayerischen Rundfunk, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der ersten gemeinsamen Fachtagung von EIQ und HTWK auf die Herausforderungen des digitalen Wandels ein. Unter dem Titel „Die neue Öffentlichkeit – wie Bots, Bürger und Big Data den Journalismus verändern“ suchten nach der Begrüßung durch die Rektorin der HTWK Leipzig Frau Prof. Dr. p. h. habil. Gesine Grande und EIQ-Direktor Prof. Wolfgang Kenntemich etwa 70 interessierte Medienmacher, Fachleute und Wissenschaftler am 29. September nach Antworten auf die Herausforderungen des digitalen Wandels und diskutierten konkrete Lösungsansätze.
Bei seinem „Plädoyer für mehr Empathie im Netz“ sah Gutjahr Gründe und Ursachen der Veränderung in der immer größer werdenden Bandbreite, der zunehmenden Automation sowie der Künstlichen Intelligenz, „die zwar noch in den Kinderschuhen steckt, aber die Gesellschaft weiter drastisch verändern wird.“ Zudem müssten sich die Medieneliten von früher bewusster werden, dass sie ihre Deutungshoheit verloren hätten und sich der Themensetzung durch ihr Publikum stellen müssten.
Mutige Journalisten gesucht
„Transmedialer Wandel und die German Angst“ hieß das Thema, mit dem Dr. Uwe Krüger, Universität Leipzig, und Kress-Kolumnist Paul Josef Raue die neue Öffentlichkeit zu erklären versuchten. „Zwar zählen die Medien als solche nicht zu den Angstmachern der Deutschen, aber sie haben mit diesen zu tun“, erläuterte der Medienwissenschaftler, „denn Angstmacher wie Terroristen kommen durch die Medien zu den Menschen“, so Krüger weiter. Paul Josef Raue stellte unter Verweis auf Martin Luther rückblickend fest, dass nicht nur Journalismus lange Zeit mit Angst gehandelt und gespielt habe. „Mittlerweile haben die Spieler mit der Angst selber Angst.“, so die weitere Analyse des Praktikers. Aber eine Demokratie brauche mutige Journalisten, die an ihren professionellen Grundsätzen festhalten.
Dass die Medien durchaus die Veränderungen durch Big Data, Künstliche Intelligenz, Bots und Algorithmen bewältigen können, machten Dr. Andreas Niekler, Universität Leipzig, und Prof. Dr. Martin Emmer, FU Berlin, deutlich. Aus technischer und inhaltsanalytischer Perspektive erklärte Niekler anschaulich die Möglichkeiten der automatischen Sprachverarbeitung. So könnten Hasskommentare von Algorithmen erkannt und gelöscht werden. Prof. Dr. Emmer, Gründungsdirektor des Deutschen Internet-Instituts, näherte sich dem Thema aus Sicht der öffentlichen Kommunikation. Fake News, oft durch Bots generiert, seien der Treibstoff für Kampagnen. So können KI-Systeme, zum Beispiel bei Facebook, die Selektion beeinflussen. Die Interaktion werde automatisiert. „Das Problematische dabei ist die Intransparenz bzw. die Identifikation der Social Bots.“, so der Kommunikationswissenschaftler.
Als Reporter mit Smartphone unterwegs
Eine neue Form des mobilen Journalismus stellte der NDR-Reporter Benjamin Unger vor: das Projekt NextNewsLab. Mit Smartphone und speziellen Apps für Aufnahme und Schnitt können kurze Beiträge schneller als mit herkömmlichen Produktionsmitteln erstellt und ausgespielt werden. Dabei stellen die mobilen Bilder keinen Ersatz, sondern eine zusätzliche Option der Berichterstattung dar.
Mobilen Bürgerjournalismus im Sinne von partizipativen Fernsehformaten veranschaulichten die Masterstudierenden Veronika Christmann und Komnen Tadic von der HTWK Leipzig. Sie untersuchten für das Hochschulfernsehen die Bereitschaft von Bürgern, sich aktiv vor bzw. hinter die Kamera des Smartphones zu stellen. Ihr Befund fiel dabei eher nüchtern aus: Der Großteil der Befragten möchte eher hinter als vor der Kamera stehen. Die Angst, plötzlich öffentlich zu sein, ist bei vielen groß.
Fakes aufdecken: mühevoll, aber wichtig
MDR-Journalist Danko Handrick berichtete über seine Erfahrungen mit PEDIGA-Anhängern in Dresden. „Bei vielen PEGIDA-Anhängern sind wir Journalisten Teil des Systems.“, erklärte Handrick. Dies führte er auch auf eine undifferenzierte Schwarz-Weiß-Berichterstattung zu Beginn der Demonstrationen in Dresden zurück. Für sich und seine Kollegen forderte er, die Nähe zu den Menschen wiederherzustellen. „Das ist eine kleine, kleinteilige Arbeit.“, so die Erfahrung Handricks. Zudem müsse man sich bewusst machen, dass Gefühle mit Fakten nur schwer widerlegt werden könnten.
Stefan Primbs, Social-Media-Verantwortlicher beim Bayerischen Rundfunk, erklärte anhand von Beispielen die Aufgaben und die Bedeutung von Verifikations-Einheiten. Gerade wenn ein Anschlag oder ein Amoklauf passiert, werden sehr schnell sehr viele Tweets gepostet. „Da wir über das Ereignis berichten müssen, müssen die Tweets überprüft werden. Es wird zwischen brauchbarem Material und Gerüchten unterschieden“, erläuterte Primbs. In diesem Zusammenhang warnte Primbs auch vor Bearbeitungen von Bildmaterial: „Auch die Bildbearbeitung muss zukünftig mit Bedacht gemacht werden, denn uns wird nichts mehr verziehen.“ Karolin Schwarz, Gründerin von Hoaxmap, zeigte verschiedene Formen und Arten von Fake News auf. Vor allem wies sie auf die Verknüpfung von Fake News mit finanziellem Gewinn hin. Fakes entstehen und verbreiten sich nicht nur im Internet, gefakte Dokumente landen auch in Briefkästen der Betroffenen. Die Plattform Hoaxmap konnte im Zusammenhang mit der Flüchtlings-Diskussion bereits viele solcher Fakes auf lokaler und sublokaler Ebene aufzeigen.
Zur Einstimmung auf die abschließende Podiumsdiskussion stellte EIQ-Direktor Prof. Kenntemich das durch die Friede Springer Stiftung unterstützte Projekt Media Quality Watch vor. EIQ und HTWK wollen hierbei eine interaktive Plattform für den Dialog zwischen Medien und ihren Rezipienten über Qualitätsmaßstäbe entwickeln.
Transparenz durch Technik
Experten aus Wissenschaft und Praxis diskutierten dann über die Frage „Wer definiert Qualität und Wahrheit?“ So prognostizierte Dr. Uwe Krüger, dass im Ergebnis der Bundestagswahl nun „vergessene“ Positionen, die im liberalen Konsens bisher stumm geblieben seien, wieder im Parlament diskutiert und damit auch in den Medien auftauchen würden. Christina Elmer (SPIEGEL ONLINE) sieht Kontextualisierung als Herausforderung für die Medien. So könnten im Datenjournalismus Methodenboxen oder ein Downloadangebot der Daten Schritte in diese Richtung sein. Mit der Unterstützung bei der Suche nach mehr Transparenz durch die Technik befasste sich auch Prof. Dr. Uwe Kulisch von der HTWK.
Zur Frage, wie Vertrauen in die Medien zurückgewonnen werden kann, sehen Stefan Primbs und Christina Elmer vor allem das bessere Kennenlernen der Mediennutzer als Möglichkeit. Mit dem Schlusssatz „Die Welten müssen wieder zusammenkommen“ von Dr. Krüger endete die erste gemeinsame Fachtagung von EIQ und HTWK Leipzig.
Text: Prof. Wolfgang Kenntemich und Dr. Constanze Farda
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